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On Stage "Kondition:Macht!"

Ostern 98, Berlin, Urania

Fast ein ganzes Jahr ging dieser Begriff nun durch Köpfe und Presse. Nun ist Ostern vorbei und die Bayreuther Passionsspiele sind erfolgreich zu Ende gegangen. Und weil das eigene Land erfahrungsgemäß mit den darauf verweilenden Propheten nichts anzufangen weiß, war die weit entfernte Hauptstadt unseres Beamtenstaates der Ort des ausverkauften Spektakels.

Oswald Henke: Leider schien dies die Berliner Presse kaum zu interessieren.

Orkus: Noch am Tag vor der Premiere kämpften das Ensemble und die Crew mit technischen Schwierigkeiten, sodaß aus der versprochenen Generalprobe vor der Presse nur ein paar Einzelszenen wurden. Da bei allen Vorstellungen absolutes Fotoverbot angesagt war, dürften in diesen zehn Minuten ein paar seltene Bilder entstanden sein. Noch geprägt von jenem Chaos, glich die verspätete Generalprobe am Freitag einem Wunder. Offensichtlich hatte man über Nacht Schwerstarbeit geleistet.

O.H.: Die zwei Proben-Tage, sowie die vier Tage der Aufführung waren die schlafloseste Zeit in meinem Leben. Immerhin kam dies meiner Linie zugute, denn nach "Kondition: Macht!" war ich sieben Kilo leichter.

O: Über den Anspruch hinaus, mehr als "nur" ein Konzert zu geben, sollte "Kondition: Macht!" auch mehr als ein Bühnenereignis werden.

O.H.: Wir haben versucht, unser eigenes Festival zu organisieren und CreConCert haben sich redlich bemüht, ein ansprechendes Rahmenprogramm zu organisieren.

Vor der Premiere von "Kondition: Macht!" begab ich mich in das Tagescafe, jene segensreiche Einrichtung, die der allgemeinen Orientierungslosigkeit Einhalt gebot, und durchforstete noch den Flyerstapel, der sich in meiner Tasche ständig vergrößerte. Dem, der sich dem Streß einer Irrfahrt durch die Metropole aussetzte, war an den vier Ostertagen noch einiges geboten. So konnte man in den Berliner Szenediskotheken dem Grauen des nächsten Morgens entgegenfeiern, den Haus- und Hofkünstler ESTA bei seiner Ausstellung besuchen, sämtliche Homepages der Künstler einsehen und und und...

Karfreitag, 19 Uhr war der Eingangsbereich der Berliner Urania bereits schwarz... Das renomierte Haus öffnete pünktlich die Pforten, und so konnte eine unglaublich gut organisierte und restlos ausverkaufte Theaterpremiere ohne Drängeln und nervendes Warten beginnen. Goethes Erben luden zu einer Art "Reise in die Zukunft" ein. Jeder Besucher erhielt schriftliche Reisebedingungen, die sowohl in das Stück einf&uul;hrten, als auch Gebote und Verbote recht nett verpackt aufzeigten. Originell auch der symbolische Spiegel, den jeder (!) wie einen Button tragen mußte, um sich vor dem "weißen Licht" zu schützen. Ähnlichkeiten mit der Zeitschrift "Spiegel", die so als Sponsor in Erscheinung trat, gaben dem Schauspiel eine dezent ironische Note.

O.H.: Demokratie funktioniert nur, wenn alle mitspielen. Spielverderber arbeiten nur radikalen Gruppierungen zu. Egal, ob nun "links" oder "rechts", letztendlich haben radikale Ideen noch nie etwas Positives bewegt. Jeder Mensch hat einen winzigen Anteil der Macht. Er gibt diesen entweder mit seiner Wählerstimme an eine Person seiner Wahl weiter, oder bleibt passiv und läßt sich so von Menschen vertreten, die ihr Stimmrecht nutzen.

O: Die über 800 Besucher erlebten eine Fusion aus Avantgarde, Theater, Musical und Popkonzert. "Kondition: Macht!" ist ein modernes Märchen, ein Gleichnis, da danach giert, von der Realität eingeholt zu werden und gleichzeitig davor warnt.

O.H.: Die Gattung Mensch hat aus ihren Fehlern noch nie gelernt. Besonders der Deutsche versteht es immer nur, den Dreck vor der Tür anderer Menschen zu sehen; die eigenen Unzulänglichkeiten übersieht er dabei regelmäßig.

O: Also beschützt die Maschinerie nicht ihren Machtanspruch, sondern die Menschen voreinander?

O.H.: Ja, aber man darf dabei nicht vergessen, daß die Maschine immer ein Menschenwerk ist. Das erste Kabelwesen wurde von einem Menschen erschaffen...

In seiner Zukunftsvision spielt Oswald Henke eine Figur, die sich in vergangenen Stücken von Goethes Erben bereits entwickelte. Selbstverständlich ist diese Rolle nicht frei von Pathos und Selbstdarstellung, selbstverständlich ist es die Hauptrolle...

O.H.: Die Figuren der Handlung sind nicht eindimensional. Sie entwickeln sich innerhalb der Handlung. Es gibt keine strahlenden Helden und keine "bösen" Charaktere.

O: Die Musiker sind ein Teil der bedrohlichen Maschinerie, die alle Menschen kontrolliert. Sie agieren als Maschinensegmente und Kabelwesen... Das weiße Licht tastete den Zuschauerraum ab, immer auf der Suche nach Abtrünnigen, denn mehr als zwei Menschen an einem Ort erkennt die Maschinerie als Bedrohung und bestraft sie...

O.H.: ...und mit Hilfe von "Spiegeln" konnte sich die Gruppe der Abtrünnigen dieser Überwachung entziehen. Warum wohl symbolisiert das Wissen vermittelnde Magazin DER SPIEGEL ein Schutzschild? Ist nicht auch Wissen eine Form der Macht?

O: Musikalisch gab es in Berlin die obligatorischen Überraschungen: harsche Instrumentals, Folklore, groovige Parts ergänzten die etwas weniger gewordenen "typischen" Stücke. Leider ging Mindy Kumbalek in der angestrebten sterilen Perfektion etwas unter. Der unvorbereitete Zuschauer wurde so zeitweise eher an Halbplayback, als an eine livehaftige Veranstaltung erinnert.

O.H.: Das spricht für die spielerische Qualität der Musiker... oder für fehlende Urteilskraft der Hörer, denn nicht umsonst fällt es den wenigsten Menschen auf, wenn eine Gruppe mit DAT spielt. In jedem Fall ist es billiger, mit Playbacks zu arbeiten, als live spielende Musiker zu beschäftigen.

O: Vollkommen neu waren ganze gespielte Szenen, in denen die Gastschauspielerin Sigrid Beierkuhnlein zu überzeugen wußte. Sie verkörperte die Frau, die den Rebellen aus Eifersucht verrät, um ihn nicht mehr mit den beiden stummen Frauen teilen zu müssen... Sie nutzte die engen Freiräume, um Oswald Henke von Zeit zu Zeit die "Last" der zentralen Figur etwas abzunehmen.

O.H.: Sigrid ist das Wagnis eingegangen, sich auf etwas Neues einzulassen. Und sie hatte keine leichte Rolle zu spielen.

O: Dem Ensemble gelang es, die neuen und die bewährten Komponenten einer Goethes Erben-Aufführung zu verschmelzen. So wurden durch den Tanz von "OMBRA BALLARE" ganze Teile der Handlung wiedergegeben. Besonders der Kampf mit dem weißen Licht gewann so eine Dramatik, die Worte so nicht vermitteln können.

O.H.: Ombra Ballare haben für "Kondition: Macht!" Außerordentliches geleistet, und trotz der wenigen Zeit, gemessen am Aufwand der Inszenierung, haben sie professionell gearbeitet und auf vieles im privaten Bereich verzichtet, ebenso wie Susanne Knapp, die mich als Co-Regisseurin tatkräftig unterstützt hat.

O: "Kondition: Macht!" ist so ein gelungener Balanceakt zwischen filigraner Detailverliebtheit und plakativen Effekten geworden. Selbst die Zeichensprache der stummen Frauen hat ihre Bedeutung, und die Kabelwesen (eine Traumrolle für Troy!) entwickelten durch Gestik und Mimik eigene Charaktere. Auf der anderen Seite spielte O.H. mit propagandistischen Sprachkonstruktionen (Macht! als allgegenwärtiges Wort), mit Absicht?

O.H.: Das Stück handelt nun einmal von MACHT!

O: Hinter den Kulissen wütete die Professionalität. Der technische Aufwand stellte einmal mehr alle vergangenen Aufführungen von Goethes Erben in den Schatten. Dementsprechend dürfte die Realisierung dieses Stückes einige Energie abverlangt haben...

O.H.: Irgendwie muß mich der Größenwahn geküßt haben, als ich das Bühnenbild kreierte. Jetzt steht alles in einer Lagerhalle, weil selbst die Andreaskreuze nicht in meine Wohnung passen. Sie sind zu hoch! Zumindest meine Krone kann ich von Zeit zu Zeit aufsetzen, aber eigentlich ist diese Rolle ja längst gestorben.

O: Und es dürfte kein Zufall sein, daß "Kondition: Macht!" Ostern 1998 in einer zentralen Szene einem Passionsspiel sehr nahekommt. So ist das neue Werk der Musiktheaterformation wohl auch eine Mischung aus absolutem Wagnis und Berechnung geworden.

O.H.: Wir haben nicht das erreicht, was wir wollten. So gesehen bewerte ich "Kondition: Macht!" zwar künstlerisch als Erfolg, doch alles andere betrachte ich als Fiasko. Der betriebene Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis.

O: Offensichtlich ist es nicht gelungen, neue Hörergruppen zu erreichen bzw. andere Medien zu interessieren, womit sich die unterschwellige Bitterkeit Oswald Henkes Worten vielleicht erklärt.

O.H.: Neun Monate Arbeit für insgesamt fünf Minuten Applaus gibt kaum die Energie, um ein neues Projekt in Angriff zu nehmen.

O: Am Ende gab es eine Menge Premiereblumen von CreConCert, jener Agentur, die Goethes Erben und "Kondition: Macht!" fast ein Jahr lang standesgemäß betreute. Und es gab Standing Ovations von einem beeindruckten Publikum...

O.H.: ...dem ich für sein Interesse danken möchte.

Fazit 1: Die einzige Größe, die nicht nach Macht strebt, ist die Maschine selbst.
Fazit 2: Berlin war eine Reise wert.

Ich danke für das Interview.

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